Estadio Profesor Alberto Supicci, ca. 1.500 Zuschauer
Was man nicht so alles lernt auf Südamerikareisen: Nicht der verufene argentinische Fußball hat das größere Gewaltproblem, sondern jener des lieblichen, kleinen Nachbarlandes Uruguay. Mir kommt das von außen betrachtet zwar etwas künstlich aufgeblasen vor, aber jeder mit dem ich bis jetzt darüber geredet habe, verzieht dabei betroffen das Gesicht. Daher ging es diesmal zwar sehr wohl ins Fußballstadion, aber dort wurde dann Rugby aufgetischt.
Vor dem abendlichen Matchbesuch hieß es noch übersetzen von Buenos Aires nach Colonia de Sacramento. Die 50 Kilometer lange Fahrt über den Rio de la Plata war zwar durch die schon hier beachtliche Breite des Flußes interessant, aber nicht so spektakulär wie eigentlich erwartet. Dafür hat die kleine Stadt am anderen Ufer dann vom ersten Augenblick an so ziemlich alle Vorstellungen übertroffen und durchaus verzaubert.
Colonia wurde im 17.Jahrhundert von den Portugiesen als strategischer Brückenkopf gegründet und war im Lauf der Zeit hart umkämpft. Bis heute sind viele Gebäude aus seiner Blütezeit - teils auch als Schmugglerstadt - erhalten, die Altstadt wurde von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt. Schon ein erster kurzer Spaziergang durch die Straßen zeigten relativ schnell, warum dem so ist.
Der alte Bahnhof von Colonia |
Auf das Match werde ich erst durch einen Tipp des Hotelrezeptionisten aufmerksam. Da die Fußballmannschaft von Plaza Colonia an diesem Wochenende sowieso ein Auswärtsspiel gehabt hätte, wäre mir dieses Stadion in jedem Fall "entgangen". Alleine dafür ist das Ausweichen auf Rugby also durchaus zu vertreten. Zudem wird der uruguayische Fußball derzeit aber auch von einer "Gewaltwelle" erschüttert, wodurch bereits am vergangenen Wochenende der Spielbetrieb am Sonntag ausgesetzt wurde.
Bei einem U-19-Spiel wurden Schiedsrichter brutal attackiert (hier gäbe es ein Video von dem Vorfall), woraufhin die Vereinigung der Unparteiischen aus Protest das Anpfeifen von anderen Partien verweigerte. Angeblich ist auch dieses Wochenende der Spielbetrieb vollkommen ausgesetzt. Mir erscheint der Vorfall etwas sehr aufgebauscht, auch wenn der Übergriff freilich durchaus erschreckend ist. Und das grundsätzliche Problem in der Liga kann ich natürlich noch nicht einmal im Ansatz abschätzen.
Daher also zum Rugby: Das Stadion der Stadt Colonia ist klein, fein, aber durchaus als unauffällig zu bezeichnen. Direkt am Ufer des Rio de la Plata gebaut, verfügt es über zwei größere Tribünen auf den Geraden und zwei kleineren hinter den Toren. Die Sitzmöglichkeiten sind bis auf wenige Ausnahmen nur Betonblöcke, was mit späterem Abend und kühler werdenden, vom Fluß kommenden Wind durchaus ein Problem wird.
Das Spiel selbst kann ich überhaupt nicht beurteilen, auch wenn ich es nicht uninteressant finde. Es handelt sich um das Finale des zum vierten Mal ausgetragenen Südamerika-Cups im Rugby - und bisher hat ihn auch jedes Mal Argentinien gewonnen. Uruguay liegt allerdings bis kurz vor Schluss sogar in Führung, nachdem es zuvor das Spiel - sehr zur Freude der Zuschauer - gedreht hatte. Stimmungstechnisch ist es ein typisches Länderspiel bei kleiner Kulisse. Sprechchöre gibt es freilich nicht, aber vereinzelte Anfeuerungsrufe und Jubel begleiten das Spielgeschehen.
Schulkinder, die in der Halbzeit auch auf dem Rasen für ein Projekt geehrt werden, stellen einen großen Teil des Anhangs in meinem Bereich. Ein vorlauter Bengel (ca. 9-11 Jahre alt) ein paar Reihen vor mir liefert sich auch das zumindest lustigste Duell dieses Abends: Im verbalen Infight mit dem durchaus skurrilen "Nußmann" versucht er diesen immer wieder zur freien Herausgabe seiner Ware zu bewegen. Dieser verweist den jungen Mann allerdings mit zunehmender Heftigkeit wiederholt darauf, dass es im Leben nichts umsonst geben würde, und er gefälligst arbeiten gehen solle. Aus meiner Sicht klarer Sieg im Elfmeterschießen für den fliegenden Händler.
Der "Nußmann" im Infight |
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